Nachlese zum 113. Aachener Hospizgespräch und Ausblick auf 2022

„Zwischen Ethik und Politik – Was können wir aus der Pandemie lernen?“ (29./30.10.2021 im Zinkhütter Hof, Stolberg)

Zum ersten Mal nach 15 Jahren musste der jährliche national ausgerichtete Kongress aus aktuellem Anlass auf das letzte Oktoberwochenende 2021 verschoben werden. Er fand mit ca. 150 Teilnehmenden als Präsenzveranstaltung unter den 3G-Regeln statt.

Der gemeinsame Reflexionsraum zu den brandaktuellen Themen, die intensiven Gespräche und Diskussionen, die sehr kompetenten Referent*innen, ihre qualitativ hochwertige Expertise sowie die direkte Begegnung miteinander, haben laut Rückmeldungen der Teilnehmenden das 113. Aachener Hospizgespräch zu einem Fest werden lassen. Die Atmosphäre wurde darüber hinaus geprägt durch das „Kultkabarett“, in dem u. a. die Flutkatastrophe thematisiert wurde sowie den Projektchor, die „Gospel-Hospice-Singers“, mit seinen nachdenklichen und beschwingten Liedern – diesmal von freien Mitarbeitenden des WDR als Film aufgezeichnet.

Inhaltlich haben die Referent*innen des Hauptprogramms am Freitagabend und Samstagvormittag entscheidende Impulse gesetzt. Prof. Andreas Lob-Hüdepohl, Mitglied des Deutschen Ethikrates, sprach von den Kollateralschäden der Pandemie, aufgrund der notwendigen Priorisierungsentscheidungen für Menschen, die an Corona erkrankt und in den Krankenhäusern bevorzugt behandelt wurden. Notwendige andere Operationen oder Therapien mussten verschoben werden. Nichtsdestoweniger war es für die Entscheider*innen ein ethisches Dilemma, was zum Teil bis heute schwerwiegende Folgen nach sich zieht. Darüber hinaus waren im ersten Lockdown unerträgliche Einsamkeit bis zum Lebensende häufige Erfahrungen von Bewohner*innen der Altenhilfe oder Patient*innen in den Krankenhäusern. Unter den posttraumatischen Folgen leiden Zu- und Angehörigen nicht selten bis heute.

Prof. Reimer Gronemeyer, emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Gießen, machte deutlich, dass die Besinnung auf das bürgerschaftliche Engagement aus den Anfängen der Hospizbewegung auch für die Zukunft mehr als notwendig sein wird. Die Haltung, den Tod ausschließlich als medizinische Aufgabe z. B. durch die Konzentration auf die Symptomkontrolle zu betrachten, versteht Prof. Gronemeyer als Engführung. Das Anerkennen der gleichwertigen Bedeutung der psychosozialen und spirituellen Bedürfnisse am Lebensende nimmt schwersterkrankte Menschen in ihrer Ganzheit wahr. Vollkasko-Versorgung wird es in Zukunft nicht mehr geben. Wir sind aufgefordert, Konzepte wie z. B. Caring Community in unserer Gesellschaft zu entwickeln und diese zu integrieren.

Rudolf Henke, Ärztekammerpräsident Nordrhein, wies darauf hin, dass die Pandemie dazu geführt hat, ein bereits vorhandenes Problem zu verstärken. Durch die Regelungen zur Kontaktaufnahme zum Schutz von Risikogruppen hat der Rückzug von Zugehörigen der unheilbar Erkrankten in ihrer letzten Lebensphase weiter zugenommen. Um diesen Krisenzustand zu bewältigen, muss in Zukunft eine ethische Abwägung zwischen Infektionsgefahr und sozialer Isolation getroffen werden. Am Lebensende ist die Vermeidung von Einsamkeit ein hohes Gut und gegenüber der Gefahr von Ansteckung ein sehr gewichtiges Argument in der Waagschale der Abwägung. Hier ist der Schutz menschlicher Grundbedürfnisse nahezu wie ein Menschenrecht zu bewerten.

Prof. Claudia Bausewein, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, ist es am Samstagvormittag gelungen, mit der Schilderung konkreter Patientengeschichten aus ihrem beruflichen Alltag das Thema assistierter Suizid in seiner Vielschichtigkeit differenziert aufzufächern. Ambivalenz und immer wieder neue unerwartete Entwicklungen beeinflussen häufig bis zum Schluss die Entscheidung, frühzeitig aus dem Leben zu scheiden oder doch noch weiter leben zu wollen. Das offene Gespräch für dieses sensible Thema, ohne dabei direkte Handlungsoptionen abzuleiten, ist aus ihrer Sicht ein hilfreicher Weg. Die deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin setzt sich daher für Suizidprävention und den Ausbau der Hospiz- und Palliativarbeit ein.

Ein nachdenklich stimmender Kurzfilm aus Interviews u. a. von Betroffenen, Einrichtungen der Altenhilfe, Palliativstationen und einer Hausarztpraxis bereitete auf die Themen der Workshops vor. Sie wurden intensiv als Reflexionsraum für die gemachten Erfahrungen in der Pandemie genutzt. In dem fachlichen Austausch standen zukunftsfähige Visionen im Mittelpunkt. Die Teilnehmenden nahmen konkrete Ideen, strukturelle Lösungsansätze sowie Konzepte für ihr berufliches Handeln mit. Die Themen der Workshops handelten vom Umgang mit der Angst, von Caring-Community-Modellen bis hin zu Handlungsempfehlungen einer aktuellen Studie, die aufzeigt, wie in Zukunft die Bedürfnisse von Betroffenen aber auch des professionellen Teams in Zeiten von Pandemien Berücksichtigung finden sollten.

Ausblick auf 2022

Die Möglichkeit, bei den nächsten Symposien dabei zu sein, haben Sie am 18.02.2022 beim 114. Aachener Hospizgespräch zum Thema „Soziale Arbeit und Palliative Care“ an der Katholischen Hochschule Aachen sowie am 06./07.05.2022 beim 115. Aachener Hospizgespräch im Zinkhütter Hof in Stolberg zum Thema „Die Koordination von palliativen Netzwerken und die Zukunft von Caring Communities in Deutschland.“

Veronika Schönhofer-Nellessen und Prof. Roman Rolke – Wir freuen uns auf Sie!

Newsletter April 2020

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Seminare, liebe Freunde und Freundinnen der Servicestelle Hospiz und des Bildungswerkes Aachen,

von jetzt auf gleich sind wir alle in eine andere Zeit versetzt worden. Mit den neuen Rahmenbedingungen umzugehen, keinen oder nur wenig direkten analogen Kontakt mit unseren Gästen zu leben, hat mir und uns viel Improvisation und Flexibilität abverlangt. Leere Schulungsräume, kein Gelächter oder keine intensiven Gespräche in den Pausen draußen vor unserer Glastür, liebe Teilnehmende, haben eine schmerzliche Lücke geschlagen. Diese häufig gar nicht immer bewusst wahrgenommenen und doch so entscheidenden und liebgewonnenen Gewohnheiten fehlen – kurz Sie fehlen mir und uns!

Nachdem jetzt einige wenige Wochen vergangen sind, schauen wir auch in die Zukunft und beginnen, analoge Fortbildungen digital „umzustricken“. Wir haben jetzt schon sehr häufig digitale Videokonferenzen mit zentralen Bereichen der palliativen und hospizlichen Versorgung angeregt und durchgeführt. Die Resonanz ist ausschließlich positiv. Es tut gut und es ist nötig, sich in diesen Krisen insbesondere im Gesundheitswesen sektorenübergreifend auszutauschen: Der Vorstand des Palliativen Netzwerkes der Region Aachen e. V., die Berater/innen der Gesundheitlichen Versorgungsplanung, die Alten- und Eingliederungshilfe, die Koordinator/innen der ambulanten Hospizdienste etc. und viele Einzelgespräche am Telefon. Der Tenor ist immer ähnlich: Wie geht es Euch? Was braucht Ihr? Was können wir gemeinsam für die Gemeinschaft / für die Region tun? Es entsteht Caring Community in vielfältigster Weise, weil Gemeinschaft gerade jetzt nottut und guttut!

Sie können sich darauf verlassen, dass wir spätestens bis zum Herbst vieles digital anbieten können. Sollte es bis dahin wieder möglich sein, analog miteinander die Themen Palliative Care, Kommunikation, pflegerische, medizinische, ethische, psychosoziale und spirituelle Inhalte analog zu erarbeiten, werden wir das auch weiterhin mit Überzeugung, Begeisterung und hoher Fachlichkeit anbieten. Die digitalen Möglichkeiten sind eine große Hilfe geworden, die wir auch in Zukunft als neues wichtiges Standbein von aktueller Weiterbildung ausbauen werden.

Gleichzeitig ist es uns bewusster denn je, am liebsten in direkter und gerne auch analoger Kommunikation mit Ihnen! Wir freuen uns sehr auf ein Wiedersehen!

Von Herzen alles Gute und Ihnen möglichst beste Gesundheit!

Herzlichst,
Ihre Veronika Schönhofer-Nellessen